Motivation und Forschungslücken
Der „Earth Overshoot Day“, also der Tag, an dem die Nachfrage der Menschheit nach natürlichen Ressourcen die Regenerationsfähigkeit der Erde übersteigt, hat sich seit seiner ersten Berechnung im Jahr 1970 bereits vom 30. Dezember auf den 28. Juli im Jahr 2022 nach vorne verschoben. Dieser rasant steigende globale Ressourcenverbrauch führt dazu, dass im Jahr 2022 1,75 Erden notwendig gewesen wären, um den globalen Ressourcenverbrauch der Menschheit zu decken. [Glo-22]
Die Kreislaufwirtschaft bietet hierzu einen Lösungsansatz und ist definiert als ein industrielles Modell, das die Produktionsleistung vom Ressourceneinsatz entkoppelt und somit in sich restaurativ und regenerativ ist [EMF‑13]. Zur flächendeckenden und ganzheitlichen Etablierung zirkulärer Wirtschaftsmuster und damit zur Erreichung der Klimaneutralitätsziele der EU bis 2050 bzw. Deutschlands bis 2045 bedarf es in den kommenden Jahren daher vielfältiger Forschung [BDI-21]. Neben der Schaffung notwendiger rechtlicher und regulatorischer Rahmenbedingungen sowie der Entwicklung geeigneter Geschäftsmodelle für die Kreislaufwirtschaft sind insbesondere die Erforschung und die Entwicklung von Technologien notwendig, um die Transformation der linearen Wirtschaft zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft wirtschaftlich und in einem industriellen Maßstab zu ermöglichen [BDI-21].
Der Sonderforschungsbereich 1574 „Kreislauffabrik für das ewige Produkt“ adressiert ebendiesen Forschungs- und Innovationsbedarf und zielt darauf ab, den Durchbruch in der Kreislaufproduktion in einem bislang nicht realisierbaren industriellen Maßstab zu ermöglichen. Dabei besteht der Anspruch, dass die entwickelten Lösungen sowohl mit aktuellen als auch mit zukünftig denkbaren Rahmenbedingungen kompatibel sind und somit langfristig und nachhaltig umgesetzt werden können.
Literaturverweise:
[Glo‑22] | Global Footprint Network (2022): Past Earth Overshoot Days. Online verfügbar unter https://ellenmacarthurfoundation.org/towards-the-circular-economy-vol-1-an-economic-and-business-rationale-for-an. |
[EMF‑13] | MacArthur, E. (2013): Towards the circular economy, economic and business rationale for an accelerated transition. Online verfügbar unter https://ellenmacarthurfoundation.org/towards-the-circular-economy-vol-1-an-economic-and- business-rationale-for-an. Stand: 23.12.2020. |
[BDI-21] | Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (2021): Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten. |
Vision des Sonderforschungsbereichs
Abbildung: Integriertes Produktionssystem für die lineare und zirkuläre Produktion, grün: fokussierte Prozessschritte der zirkulären Produktion, weiß: fokussierte Prozessschritte der linearen Produktion, in Anlehnung an [UN-15]; [LAN-23].
Dieses integrierte Produktionssystem wird sowohl für die lineare Produktion von Neuprodukten ohne Aufarbeitungsanteil als auch für die zirkuläre Prozesskette befähigt und verwendet dabei dieselben Produktionsressourcen, um somit ein hocheffizientes Produktionssystem zu ermöglichen. Damit kann eine performante, auf höchste Effizienz ausgelegte Großserienproduktion, wie sie aus der linearen Produktion bekannt ist, erreicht werden. Neuprodukte mit individuellem Aufarbeitungsanteil können erstmalig im industriellen Maßstab und damit mit geringen Stückkosten (Economies of Scale) hergestellt und wirtschaftlich am Markt abgesetzt werden. Somit können zirkuläre Produktionsprozesse am Hochlohnstandort in Großserie etabliert werden, und die Wertschöpfung kann erhalten bleiben.
Literaturverweise:
[UN-15] | United Nations (2015): Sustainable Development Goals - Department of Economic and Social Affairs (UNDESA). |
[LAN-23] | Lanza, G., Klenk, F., Martin, M., Brützel, O., & Hörsting, R. (2023). Sonderforschungsbereich 1574: Kreislauffabrik für das ewige innovative Produkt: Integrierte lineare und zirkuläre Produktion mittels hochvernetztem Produkt-Produktions-CoDesign. Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, 118(12), 820-825. |
Teilprojekte
Die Erforschung einer solchen integrierten Wertschöpfung in einem wandelbaren, autonomen Produktionssystem geht mit großen Herausforderungen einher und bedarf umfassender wissenschaftlicher Betrachtungen. Die Herausforderungen der Kreislauffabrik hinsichtlich dieser Vision bestehen insbesondere in der Unsicherheit der Gebrauchtprodukte aufgrund individueller und unsicherer Produktzustände. Der Lösungsansatz im Rahmen des SFB-Vorhabens stützt sich daher auf eine hohe Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Autonomie aller Produktionsressourcen auf dem Shopfloor, die sich eigenständig an fortwährend wechselnde Rahmenbedingungen und Herausforderungen anpassen. Hieraus ergibt sich der im SFB-Vorhaben geplante Projektbereich C: Integrierte Wertschöpfung (vgl. Abbildung).
Die Befähigung der lernenden Produktionsressourcen in der Kreislauffabrik erfordert die Erfassung und Interpretation von unsicherheitsbehafteten Objekten und Prozessen. Im Fokus steht dabei die multi-sensorische Wahrnehmung von Produkten und Menschen. Der Mensch spielt daher jederzeit eine zentrale Rolle, da er eine Wissensquelle hinsichtlich ständig neuer Produkte bzw. Produktgenerationen und -varianten sowie für wechselnde Rahmenbedingungen darstellt, die aufgrund der externen Komplexität entstehen. Der Lösungsansatz im Rahmen des SFB-Vorhabens verfolgt somit die multi-sensorische Erfassung und Modellierung der unikalen Produktinstanz sowie der menschlichen Prozessausführung. Hieraus ergibt sich der im SFB-Vorhaben geplante Projektbereich B: Multi-sensorische Wahrnehmung (vgl. Abbildung).
Eine starre A-priori-Planung und -Steuerung der Kreislauffabrik sind aufgrund der vorherrschenden Unsicherheiten nicht geeignet. Stattdessen sind eine robuste und gleichzeitig dynamische Auftragsplanung sowie ein dynamisches Scheduling erforderlich, um eine schnelle Reaktionsfähigkeit der Kreislauffabrik zu gewährleisten. Im Rahmen des Sonderforschungsbereichs soll die übergeordnete Gestaltung und Steuerung der Kreislauffabrik als Gesamtsystem erforscht werden, woraus sich der geplante Projektbereich A: Produkt-Produktions-CoDesign ergibt (vgl. Abbildung).
Struktur des Sonderforschungsbereichs 1574 Kreislauffabrik für das ewige Produkt [LAN-23].
Den Projektbereichen sind die folgenden Teilprojekte zugeordnet:
Projektbereich A
Teilprojekt A01: Integrierte Planung und Steuerung der Kreislauffabrik
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. G. Lanza; Pof. Dr.-Ing. N. Stricker
Teilprojekt A02: Formale Repräsentation adaptiver Produktionssysteme
Projektleitung: Dr.-Ing. J. Pfrommer
Teilprojekt A03: Wissenstechnologien für multimodales und unsicheres Wissen in der Kreislauffabrik
Projektleitung: Prof. Dr. rer. nat. S. Staab
Teilprojekt A04: Integrierte Beschreibung, Planung und Modellierung des ewigen Produkts
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. A. Albers; Prof. Dr.-Ing. T. Düser
Teilprojekt A05: Funktionsmodell des ewigen Produkts
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. S. Matthiesen; Dr.-Ing. P. Grauberger
Teilprojekt A06: Modellierung der Systemzuverlässigkeit
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. S. Matthiesen
Projektbereich B
Teilprojekt B01: Autonome Messstrategien
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. G. Lanza
Teilprojekt B02: Erfassung von Werkstoffeinflüssen
Projektleitung: Dr.-Ing. S. Dietrich; Prof. Dr.-Ing. habil. V. Schulze
Teilprojekt B03: Informationsrepräsentation und -management von Produktinstanzen
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. habil. J. Beyerer; Prof. Dr.-Ing. M. Heizmann
Teilprojekt B04: Erfassung des Menschen
Projektleitung: Dr.-Ing. A. Roitberg; Prof. Dr.-Ing. habil. R. Stiefelhagen
Teilprojekt B05: Lernen aus Augen- und Blickverhalten des Menschen
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Psych. B. Deml
Projektbereich C
Teilprojekt C01: Transformer-Zelle
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. J. Fleischer
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. F. Zanger; Prof. Dr.-Ing. habil. V. Schulze
Teilprojekt C03: Autonome Intralogistik in der Kreislauffabrik
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. K. Furmans
Teilprojekt C04: Lernen von Task-Modellen für Manipulationsaufgaben in der Kreislauffabrik
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. T. Asfour
Teilprojekt C05: Daten- und simulationsgetriebener Transfer auf die Transformer-Zelle
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. G. Neumann
Projektleitung: Prof. Dr. Rania Rayyes
Unterstützende Teilprojekte
INF: Dateninfrastruktur für die Kreislauffabrik
Projektleitung: Prof. Dr. rer. nat. S. Staab; Dr.-Ing. M. Selzer; Prof. Dr.-Ing. G. Lanza
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. J. Fleischer
Z: Zentrales Verwaltungsprojekt
Projektleitung: Prof. Dr.-Ing. G. Lanza
Literaturverweise:
[LAN-23] | Lanza, G., Klenk, F., Martin, M., Brützel, O., & Hörsting, R. (2023). Sonderforschungsbereich 1574: Kreislauffabrik für das ewige innovative Produkt: Integrierte lineare und zirkuläre Produktion mittels hochvernetztem Produkt-Produktions-CoDesign. Zeitschrift für wirtschaftlichen Fabrikbetrieb, 118(12), 820-825. |